Das kleine Wunder namens Michel

Erstmals wurde im Universitätsklinikum Ulm nach einer erfolgreichen Rückgabe von eingefrorenem Eierstockgewebe ein Kind geboren

Die glückliche Familie Scholz. Mit der Geburt von Michel gelang ein kleines Wunder, mit Hilfe des Kinderwunschzentrums UniFee des Universitätsklinikums Ulm. Foto: privat/Kerstin Lübeck

„Unser kleines Wunder ist endlich bei uns!“  Mit diesen Dankesworten hat Mutter Edith Scholz nach der Geburt ihres Sohnes Michel allen Freunden und Verwandten mitgeteilt, welches wunderbare Geschenk die Geburt ihres jüngsten Sohnes für sie und ihre Familie ist. Am 19. Juni 2019 kam Michel mit 3270 Gramm Geburtsgewicht und 50 Zentimeter Größe auf die Welt. Seine Geburt war keine Selbstverständlichkeit, denn Mutter Edith Scholz war 2008 an Lymphdrüsenkrebs erkrankt, dem so genannten Non Hodgkin Lymphom. Die Prognose für eine Heilung war günstig, allerdings musste ihr dafür eine starke Chemotherapie verabreicht werden, die auch die Fruchtbarkeit beeinträchtigen kann. Edith Scholz hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Kinder, hegte aber einen Kinderwunsch, weshalb ihr noch vor Beginn der Chemotherapie im UniFee, dem Kinderwunschzentrum des Universitätsklinikums Ulm Eierstockgewebe entnommen wurde. Durch die spätere Rückgabe des Gewebes kann der Wunsch nach einem Kind nach der Therapie noch erfüllt werden. Der Fachbegriff dieses Eingriffs: Ovarienreimplantation.

Die Landsbergerin Edith Scholz hatte Glück und wurde nach der Therapie ihrer Krebserkrankung auch ohne Rückgabe des Eierstockgewebes schwanger. Am 2. Dezember 2013 kam Levi auf die Welt. Doch 2014 traf Edith Scholz erneut ein Schicksalsschlag, sie erkrankte an Akuter Myeloischer Leukämie. Wieder musste sie sich einer Chemotherapie und diesmal auch einer Stammzelltransplantation unterziehen. Danach blieb ihre Menstruationsblutung aus. Der Wunsch nach einem weiteren Kind blieb. Daraufhin transplantierte Professorin Katharina Hancke, Geschäftsführende Oberärztin in der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe sowie Leiterin des Kinderwunschzentrums UniFee des Universitätsklinikums Ulm Edith Scholz im Februar 2017 Eierstockgewebe, das sie knapp zehn Jahre zuvor entnommen hatten. Das Team von Professorin Katharina Hancke führte die Bauchspiegelung durch und pflanzte einen Teil des aufgetauten Gewebes in das Bauchfell an die Stelle des ursprünglichen Eierstocks. Mitte 2017 waren die Hormonwerte erstmalig wieder im Normbereich und es kam zu einer Menstruationsblutung.

Am 1. November 2018 konnte Edith Scholz ihr Glück kaum fassen, sie bemerkte, dass sie wieder schwanger war. „Unser kleines Familienglück ist jetzt perfekt“, sagt die 33-jährige Hörgeräteakustikmeisterin heute. Auf den Dankeskarten zur Geburt vom kleinen Wunder Michel ist Edith Scholz zusammen mit Ehemann Heiko Scholz (39) und ihrem ersten Sohn Levi zu sehen, eine glückliche Familie. Auch Professorin Katharina Hancke gratuliert ihrer Patientin und freut sich sehr über den Familienzuwachs. „Erstmals ist es im Universitätsklinikum Ulm gelungen, dass nach der Rückgabe von Eierstockgewebe ein Kind auf die Welt kam. Die Geschichte von Edith Scholz zeigt, dass neue medizinische Methoden unterstützt werden sollten, auch wenn der Erfolg erst nach Jahren eintritt“, sagt Professorin Katharina Hancke. Im Falle von Edith Scholz sind sogar mehr als zehn Jahre zwischen der Entnahme des Eierstockgewebes und der Geburt des zweiten Kindes vergangen. „Wichtig ist, dass diese Möglichkeiten allen Frauen, die vor einer eierstockschädigenden Therapie stehen und ihren Kinderwunsch noch nicht abgeschlossen haben, angeboten wird“, betont die Reproduktionsmedizinerin. Allerdings seien diese Maßnahmen noch nicht im Katalog aller gesetzlichen Krankenkassen enthalten, sodass einige Patientinnen, die diese Methode des Fertilitätserhaltes nutzen wollen, die Kosten selber tragen müssten. Diese Kosten können – je nach Lagerungsdauer – durchaus im fünfstelligen Bereich liegen. Da Frau Scholz im Rahmen einer Studie teilnahm, musste sie für die Aufbewahrung ihres Eierstockgewebes indes nichts bezahlen.

Hintergrund:

Eine Krebserkrankung ist ein tragischer Einschnitt im Leben von Frauen und Männern – während heutzutage viele Krebserkrankungen geheilt werden können, bleibt der Kinderwunsch nach einer Krebstherapie häufig unerfüllt. Die Chemotherapie kann sowohl das Eierstockgewebe als auch das Hodengewebe nachhaltig schädigen, so dass Zeugungsunfähigkeit besteht. Da aber die Erfüllung des Kinderwunsches zentral zu einer erfüllten Lebensqualität gehört, gibt es seit einigen Jahren die Möglichkeit die Zeugungsfähigkeit, also die Fertilität, zu erhalten. Bei Männern ist es möglich, Hodengewebe oder Spermien einzufrieren, bei Frauen können Eierstockgewebe oder Eizellen entnommen und eingefroren werden. Wenn nach Ausheilung der Krebserkrankung ein unerfüllter Kinderwunsch besteht, kann auf dieses eingefrorene Material zurückgegriffen werden. Während die Chancen nach Auftauen von Spermien/Hodengewebe und Eizellen durch die Erfahrungen mit der künstlichen Befruchtung eindeutig sind, gilt die Entnahme, das Einfrieren, Auftauen und der Rücktransfer von Eierstockgewebe noch nicht als etablierte Methode. Weltweit die erste Geburt nach dieser Methode konnte 2004 berichtet werden, in Deutschland 2011. Jetzt ist es auch in Ulm gelungen.