Den Weg vom Ziel her denken

Mehr fürs Leben lernen sollten Schüler schon in der Grundschule. Diese Idee setzt sich gerade durch, beflügelt von dem dringenden Bedarf der Wirtschaft an praktisch ausgebildeten Fachkräften.

2459 Auszubildende haben 2019 im Bereich der IHK Ulm-Biberach eine Lehre begonnen. Davon hatten 29 Prozent zuvor ein Abitur gemacht. „Wir wollen erreichen, dass die Jugendlichen frühzeitig einen Weg einschlagen, der ihnen unnötige Jahre erspart“, sagt Patricia Grün, Leiterin der Abteilung Ausbildung bei der IHK Ulm. So fordern die Industrie- und Handelskammern mit Nachdruck den Erhalt der Werkrealschulen respektive Mittelschulen mit dem erklärten Ziel, „den hohen Bedarf an nicht-akademischen Fachkräften zu decken.“ Auf die Ausbildung im dualen System bereite diese Schulform einfach am besten vor.
„Wir sind dafür, dass die Jugendlichen sich frühzeitig ihrer Fähigkeiten und Stärken bewusst werden“, erklärt Patricia Grün. Die IHK bietet „Kompetenz-Checks“ an, bei denen auch verschiedene Berufsbilder und -wege hinterlegt sind.
Ein Konzept „Schule fürs Leben“ hat die bayerische Staatsregierung im Januar beschlossen. Vom kommenden Schuljahr 20/21 an sollen im Unterricht verstärkt Alltagskompetenzen vermittelt werden. Jeder Schüler soll einmal in der Grundschule und einmal in der weiterführenden Schule bis Klasse 9 jeweils mindestens eine Projektwoche mit Praxismodulen aus den Bereichen Ernährung, Gesundheit, selbstbestimmtes Verbraucherverhalten, Umweltverhalten und Haushaltsführung durchlaufen.

Wertschätzung für praktische Fähigkeiten

Für die Praxismodule sollen die Schulen auf externe Experten und außerschulische Lernorte zurückgreifen. Die Lehrkräfte können etablierte Programme wie etwa „Erlebnis Bauernhof“, „Landfrauen machen Schule“, „Wissen wie‘s wächst und schmeckt“, „Partnerschule Verbraucherbildung“ und „Umweltschule in Europa“ einbeziehen.

Einen handfesten Beitrag zur Berufsorientierung leistet die Lehramtsstudentin Carina Volk aus Holzheim mit ihrer neu gegründeten Firma „Zukunftsfuchs“: Sie bringt die Arbeitswelt direkt in die Schule – für die Kinder buchstäblich zum Anfassen.
Die 26-Jährige gestaltet die Projektstunden mit Firmen aus der Region, darunter Evo-Bus, Wieland, der Landgasthof Hirsch und die Zahnklinik Opus Dental. Für einen zwei- bis dreistündigen Einsatz bringt sie Geräte, Material und Auszubildende jeweils einer Firma mit in den Unterricht. Die Auszubildenden stehen an den Stationen und erklären den Kindern die Tätigkeit und leiten sie beim Ausprobieren an.
Der Übertritt an die weiterführende Schule wird diesen Kindern wesentlich leichter fallen, davon ist Carina Volk überzeugt: „Viele Kindern haben ein Bewusstsein, dass der Schulwechsel was für ihre Zukunft bedeutet – aber keine Ahnung, was diese Zukunft sein soll.“ In den „Zukunftsfuchs“-Stunden probieren sie spielerisch an vielen Stationen Berufe aus. Sie erleben Sägen, Drechseln, Nähen, Zähne formen, Patienten empfangen, Gastronomie, Kaufmännisches – und bekommen auch noch eine Broschüre mit nach Hause, die kindgerecht erläutert, welche Berufe welche Fähigkeiten voraussetzen und welcher Weg dorthin führt.

„Ich glaube, dass es ein Kind auch motivieren kann, wenn es Berufe kennenlernt“, sagt Carina Volk. „So nach dem Motto: Wenn Fußballstar nicht klappt, überlege ich mal ein Praktikum als Fertigungsmechaniker.“

Carina Volk selbst ist übrigens auf der Realschule gewesen. „Ich war dort super aufgehoben“ sagt sie heute, „und ich bin sehr dankbar für vieles, was ich dort gelernt habe – das Zehnfingersystem zum Beispiel, Kochen, Hauswirtschaftslehre, Bewerbungstraining, Buchhaltung, Betriebswirtschaft…“ Das Abitur hat sie dann nach einer kaufmännischen Ausbildung an einer Beruflichen Oberschule gemacht –
eigentlich, um Kinderärztin zu werden, „aber im FSJ, das mich darauf vorbereiten sollte, habe ich erkannt, dass ich zwar mit Kindern arbeiten will, aber richtig zusammenarbeiten.“

Ihr wahrscheinlich schönstes Erfolgserlebnis hatte sie gleich nach dem ersten Einsatz als „Zukunftsfuchs“: Nach einer Praxiserkundung zum Thema „Fahrzeuginnenausstatter“ kam ein Schüler zu ihr und sagte: „Meine Mama meint immer, auf der Mittelschule werde ich nichts, aber der Azubi heute, der ist ja auch was geworden.“ Und dann bedankte er sich bei Carina Volk mit den Worten: „Du hast mein Leben gerettet.“alg