Jedem Kind seine Stimme?

Jedem Kind seine Stimme?

Vor 100 Jahren war jede Musik sozusagen selbstgemacht, Feste bestanden aus Singen und Tanzen, und im Alltag trällerte fast jeder mal vor sich hin. Heute quillt Musik überall aus Lautsprechern – die Menschen konsumieren sie oder lassen die Berieselung über sich ergehen – auf jeden Fall schweigend. Singen gilt schon kleinen Kindern als uncool, wenn es sich nicht gerade um ein Casting handelt. Versuche, gegenzusteuern, gibt es durchaus; ein durchschlagender Erfolg ist noch nicht zu verzeichnen.
„Jedem Kind seine Stimme“ verspricht beispielsweise ein Projekt des Landkreises Neu-Ulm. So erfreulich dieses erklärte Ziel ist, so mühsam erscheinen jedoch die Schritte, die dorthin führen. Das Projekt besteht darin, dass der Chorleiter Markus Romes jeweils drei Grundschulen einmal wöchentlich besucht und dort mit den Kindern singt und außerdem den Lehrerinnen Tipps für den Musikunterricht gibt. „Mein Grundanliegen ist es, Musik durch Sprechen und Singen für jedes Kind erlebbar zu machen und die eigene Stimme als kreatives und künstlerisches Ausdrucksmittel zu entdecken“, erläuterte Romes für die Presse. Er erreicht damit aber in jeder Schule nur etwa 30 Kinder, die für diese „AG“ oder „Chorklasse“ ausgewählt werden, und das nur für ein halbes Jahr und nur in jeweils drei Grundschulen – im nächsten Halbjahr sind drei andere Grundschulen dran. In den anderthalb Jahren, die das Projekt läuft, sind also rund 270 (von insgesamt rund 10.000) Volksschulkinder in den Genuss des zusätzlichen Gesangsunterrichts gekommen. Bei den 38 Grundschulen im Landkreis käme rechnerisch jede Schule etwa alle sechs Jahre einmal dran.
Nachhaltigkeit soll das Projekt dadurch bekommen, dass auch die Lehrkräfte geschult werden. Laut Bettina Wieland, Lehrerin an der Grundschule Weißenhorn Nord, „sind Grundschullehrkräfte für das nicht einfach zu unterrichtende Fach Musik oft fachlich nicht hinreichend gerüstet“. Die sechs Monate des JEKISS-Projekts, meint sie, ermöglichten es den Lehrerinnen und Lehrern, „die eigenen musikalischen Fähigkeiten auszubauen und in der Folge vor der Klasse souveräner zu agieren.“
Bis Singen in der Schule wieder zur Selbstverständlichkeit wird, scheint es also noch ein weiter Weg zu sein. Gelebt wird Musik aber ohnehin in der Freizeit, also zu Hause, in Gruppen und Vereinen, und da gibt es zahlreiche Möglichkeiten – man muss sie nur kennen.