Allein erziehen – Gemeinschaft suchen

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Für Anna beginnt der Tag früh. Der Wecker klingelt um halb sechs, damit das Frühstück und die Pausenbrote fertig sind, wenn die Kinder aufstehen. Um halb acht müssen die beiden im Kindergarten und in der Frühbetreuung der Grundschule sein, damit Anna pünktlich um acht an ihrem Arbeitsplatz ist. „Es ist oft ein Wettlauf gegen die Zeit“, erzählt die 34-Jährige, die seit einem Jahr alleinerziehend ist. „Manchmal fühle ich mich wie ein Jongleur, der versucht, alles gleichzeitig in der Luft zu halten.“

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Emotionale Belastung
So beschäftigt sind die meisten Alleinerziehenden damit, ihren Alltag halbwegs zu bewältigen, dass ihnen gar keine Zeit bleibt, die Trennung emotional zu verarbeiten. Was spürbar bleibt, ist oft nur die Wut auf den anderen, die es zusätzlich erschwert, von dieser Seite Hilfe anzunehmen, und stattdessen zusätzliche Komplikationen und Konflikte verursacht.
„Das ist schade, denn meistens ist der andere ja nicht von Grund auf böse; wir müssen ihn irgendwann sogar nett gefunden haben, nicht?“ gibt die Coachin XY zu bedenken. „Auch wenn wir es uns im Moment nicht vorstellen können: Wenn wir uns die Zeit nehmen, unsere Gefühle – am besten mit professioneller Begleitung – zu reflektieren, können wir mit diesem Menschen wieder normal umgehen. Das geht nicht von heute auf morgen, aber es geht“, verspricht sie. Eine Beratungsstunde pro Woche bei einem Coach oder einer Beratungsstelle helfe, die Erlebnisse der Woche zu verarbeiten und eine Perspektive zu entwickeln, um den vielfältigen Herausforderungen des Alleinerziehenden-Alltags zu begegnen.
Herausforderungen
Von diesen Herausforderungen kann jede Alleinerziehende ein Lied singen. Neben der täglichen Organisation des Familienlebens müssen viele Frauen auch beruflich wieder Fuß fassen oder ihre Karriere neu ausrichten. „Ich hatte meinen Job aufgegeben, um mich um die Kinder zu kümmern. Jetzt muss ich mich wieder in den Arbeitsmarkt integrieren, was nicht einfach ist“, berichtet Lisa, 29 Jahre alt. Sie hat sich entschieden, eine Weiterbildung zu machen, um ihre Chancen zu verbessern.
Genau umgekehrt ist die Situation bei Sabine: Sie hatte in Vollzeit gearbeitet, ihr Mann in Teilzeit. Die beiden teilen sich das Sorgerecht je zur Hälfte, die Kinder sind eine Woche bei ihm, eine Woche bei ihr. Um in „ihrer“ Woche ganz für die Kinder da sein zu können, hat Sabine sich einen anderen Job gesucht, in dem sie diese Nachmittage frei nehmen kann. Dafür muss sie jetzt mit weniger Geld und ohne die praktische Unterstützung ihres Mannes über die Runden kommen.

Unterstützung und Gemeinschaft
In dieser schwierigen Zeit ist es wichtig, nicht allein zu sein. Viele alleinerziehende Mütter suchen Unterstützung in Selbsthilfegruppen oder Online-Communities. „Der Austausch mit anderen Frauen, die in ähnlichen Situationen sind, hat mir sehr geholfen“, sagt Sarah, 40 Jahre alt. „Wir teilen unsere Erfahrungen, geben uns Tipps und unterstützen uns gegenseitig.“ Die Rolle der Familie und Freunde ist ebenfalls entscheidend. Oft sind es die Großeltern, die einspringen und bei der Betreuung der Kinder helfen. „Meine Mutter ist eine große Stütze für mich“, gesteht Anna. „Ohne sie wäre ich verloren.“

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Genau so verloren fühlte sich Kerstin, als sie vor zwei Jahren vor den Scherben ihrer Ehe stand – ohne familiäres Netzwerk: Der Mann war zu einer anderen Frau im Ausland gezogen, seine Eltern wohnen weit weg und Kerstins Mutter ist zu krank, um ihre Enkel zu betreuen. „Da muss ich eben durch“, sagte sie sich, versuchte alles alleine zu stemmen – und erlitt nach wenigen Monaten einen Nervenzusammenbruch – zum Glück mitten imWartezimmer ihrer Hausärztin: „Ich stand so unter Strom, dass ich nach einer Viertelstunde Warten zur Rezeption marschierte und forderte, dass ich jetzt sofort drankommen müsse, weil ich sonst den Kleinen nicht rechtzeitig vom Kindergarten abholen könnte. Als ich zu hören bekam, dass ich leider warten müsse, bis ich an der Reihe sei, brach ich in Tränen aus und konnte einfach nicht mehr aufhören zu weinen.“ Die Hausärztin gab ihr ein Rezept für Beruhigungsmittel und empfahl ihr, eine Beratungsstelle aufzusuchen.
„Das war das Beste, was mir passieren konnte“, sagt Kerstin heute über diesen Vorfall. „Danach konnte ich meine Bedürfnisse nicht mehr ignorieren, und bei der Beratungsstelle habe ich so viele wertvolle Tipps und Adressen bekommen. Ich hatte gar nicht gewusst, dass es finanzielle Hilfen gab; die Beraterin hat mir geholfen, die Anträge auszufüllen. Und ich habe jetzt eine Leih-Oma, die mir zweimal in der Woche die Kinder beschäftigt, so dass ich meinen Papierkram und Telefonate ungestört bei Tageslicht erledigen kann.“

Noch einen Schritt weiter ist Lisa inzwischen. Neben ihrer Weiterbildung hat sie auch ein regelmäßiges Coaching in Anspruch genommen: „Ich habe gelernt, dass es wichtig ist, auch auf mich selbst zu achten“, erklärt Lisa. „Ich nehme mir Zeit für mich, genieße meine Mittagspausen bewusst und gehe einmal in der Woche abends zum Yoga. Das gibt mir Kraft für den Alltag.“ Möglich gemacht haben diesen „Luxus“ zwei Freundinnen aus der Selbsthilfegruppe: „Wir nehmen uns abwechselnd die Kinder ab, so hat jede von uns zwei Abende frei und einen Abend mit fünf Kindern, die sich zum Glück gut verstehen.“ Am schönsten ist es für sie, wenn die drei Freundinnen am Wochenende gemeinsam mit allen Kindern einen Ausflug machen. „Wir sind wie eine große Familie“, freut sich Lisa, „und es geht uns wieder gut.“ Jorlyn Luft & Almut Grote

Der Artikel entstand in Kooperation mit dem Familienmagazin „potskids“ aus Potsdam, mit dem wir zusammen im Verbund regionaler Familienmagazine „Familienbande“ sind