Dass ein Mensch als Kleinkind (0 bis 6 Jahre) eine vertrauens-, verständnis- und liebevolle Behandlung erfährt, ist die wichtigste Voraussetzung, damit er sich ins Jugend- und Erwachsenenalter hinein körperlich und seelisch positiv entwickelt. Diese wissenschaftliche Erkenntnis erläuterte Dr. Julia Berkic, Psychologin am Staatsinstitut für Frühpädagogik (IFP) in München, bei einer Tagung, die das Landratsamt Neu-Ulm (Melanie Guse und Margot Nitschke) organisierte und ausrichtete. Daran nahmen etwa 80 Leiterinnen von Kindergärten und -krippen im Landkreis Neu-Ulm teil.
Der beste Weg, eine gute Bindung zum Kind aufzubauen und aufrechtzuerhalten, ist ein feinfühliger Umgang mit den kindlichen Bedürfnissen. Bindung erfüllt, so hob Dr. Berkic hervor, „immer eine Doppelfunktion: einerseits das Trösten bei Überforderung und andererseits die Unterstützung des Erkundungsdranges und des Bedürfnisses, Neues zu lernen“.
Ein Kind brauche seine Eltern beziehungsweise Erzieherinnen oder andere enge Bezugspersonen sowohl als „sichere Basis“, von der aus es zur Erkundung seiner Um- und inneren Welt aufbrechen kann (Explorationsverhalten) als auch als „sicheren Hafen“, in den es jederzeit einlaufen kann, wenn es das Bedürfnis nach Nähe und Sicherheit verspürt (Bindungsverhalten).
Insbesondere der drei- bis sechsjährige Nachwuchs sollte ermutigt werden, frei über seine Gefühle zu sprechen, appellierte die promovierte Psychologin. So lerne das Kind, seine Gefühle zu verstehen und einzuordnen, also erst zu denken, bevor es handelt.
Einfühlungsvermögen – das heißt die Fähigkeit, sich in das Kind hineinzuversetzen – sei unersetzlich, sagte Dr. Berkic, die selbst zwei Kinder im Alter von sieben und drei Jahren hat. Nur damit könnten die erwachsenen Betreuungspersonen der Anforderung gerecht werden, die Kinder „bei der Bewältigung von intensiven Gefühlen zu unterstützen“.
Auch negative Gefühle sind für eine gesunde Entwicklung der Mädchen und Buben förderlich, sie sollten deshalb nicht unterdrückt oder zurückgewiesen werden, so die Wissenschaftlerin. Wut, Trauer, Enttäuschung oder Frustration bei Misserfolg seien wichtige Emotionen, „die Kindern dabei helfen, Lösungen aus schwierigen Situationen zu finden, Ausdauer zu lernen, Hilfe zu erbitten und eigene Grenzen kennenzulernen“. Grenzen sind für die Entwicklung bedeutsam, denn sie bieten Schutz und Orientierung. „Das Kindergartenalter ist eine besonders wichtige Entwicklungsphase für das Erlernen dieser Fähigkeit“, stellte Dr. Berkic heraus.
Sie hielt ihre Zuhörerinnen aber an, sich nicht unter Erfolgsdruck zu setzen, denn: „Feinfühligkeit ist kein Leistungssport!“ Ein feinfühliger Umgang mit dem Kind setze voraus, dass die Eltern/die Erzieherinnen ebenfalls achtsam und feinfühlig mit sich selbst umgingen. Entscheidend sei, ein Gleichgewicht zwischen den eigenen Bedürfnissen und denen des Kindes zu finden. Dr. Julia Berkic zitierte zum Schluss ihres viel beklatschten Vortrages den renommierten und einflussreichen dänischen Familientherapeuten Jesper Juul: „Gut genug ist das neue Perfekt.“