Hoffnung für erkrankte Kinder

EU-Kommission lässt neue Arzneimittel zu:

Hoffnung für lebensverkürzend erkrankte Kinder
Krankenkassen tragen die Therapiekosten für gesetzlich Versicherte

Lenzkirch / Berlin, 7.6.2017

Der Bundesverband Kinderhospiz begrüßt die Zulassung zweier neuer Medikamente zur Behandlung seltener, lebensverkürzender Erkrankungen durch die EU-Kommission. „Erstmals stehen nur Arzneimittel zur Verfügung, die jungen Patienten mit Spinaler Muskelatrophie (SMA), besonders schwerem Muskelschwund, und Kindern mit der seltenen Hirnabbau-Erkrankung CLN2 helfen können“, sagt Sabine Kraft, Geschäftsführerin des Bundesverbands Kinderhospiz (BVKH). „Das grüne Licht der EU-Kommission ist ein Hoffnungsschimmer für viele CLN2- und SMA-Erkrankte– und ein wichtiges Signal auch für Betroffene, die an anderen seltenen Krankheiten leiden, die ihre Lebenserwartung verkürzen. Denn es zeigt, dass sowohl Pharmaindustrie als auch Behörden ihren Beitrag dazu leisten, dass neue Medikamente auf den Markt gelangen und sich damit Behandlungsoptionen für schwerste Krankheitsverläufe auftun, denen die Medizin bislang nichts oder nur wenig entgegenzusetzen hatte.“

Die EU-Kommission hatte  die Marktzulassung für Spinraza (Wirkstoff: Nusinersen) und Brineura (Wirkstoff: Cerliponase alfa) am 30.5.2017 erteilt. Dem vorausgegangen war eine Prüfung durch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA, in die auch das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eingebunden war.

„Zwar sprechen leider nicht alle erkrankten Kinder auf Spinraza bzw. Brineura an – und leider gibt es tatsächlich immer wieder auch Nebenwirkungen“, sagt BVKH-Geschäftsführerin Kraft. „Dennoch haben viele erkrankte Kinder und ihre Familien die Zulassung herbeigesehnt – denn nun haben sie zumindest die Chance, dass sich ihr gesundheitlicher Zustand stabilisiert oder verbessert. Bislang gab es in der EU keinerlei Therapie für SMA und CLN2. Alles, was Therapeuten tun konnten, war, die Betroffenen so zu unterstützen, dass sie mit den Krankheitssymptomen besser zurecht kamen.“
Zu den häufigsten Nebenwirkungen bei Spinraza gehören laut der Europäischen Arzneimittelagentur EMA Infektionen der oberen und unteren Atemwege sowie Verstopfung, bei der Behandlung mit Brineura wurden Fieber, Erbrechen, Krämpfe und Infektionen der oberen Atemwege beobachtet. Bei 20 von 23 Kindern, die Brineura erhielten, waren nach EMA-Angaben signifikante therapeutische Effekte zu beobachten. Bei 51 Prozent der mit Spinraza behandelten Kinder zeigten sich laut EMA in einer Studie Verbesserungen der motorischen Fähigkeiten.

Auch bei dem gut zweieinhalb Jahre alten Lukas aus München, der an SMA leidet, schlug die Spinraza-Therapie an: „Wir haben bemerkt, dass seine Arme wieder kräftiger werden, dass er seine Beine ein bisschen bewegen und ein, zwei Minuten sitzen kann, wenn wir ihn mit Kissen abstützen“, berichtet Lukas‘ Mutter Graziella K.. Ihr Sohn gehört zu den Teilnehmern einer Doppel-Blind-Studie, mit der die Wirksamkeit von Nusinersen getestet wurde, und bekommt das Mittel seit inzwischen knapp eineinhalb Jahren. Nebenwirkungen, sagt Lukas‘ Mutter Graziella K., habe der Wirkstoff bei ihrem Sohn zum Glück keine. Vor der Behandlung habe Lukas kaum kauen und schlucken können, das Essen bereitete ihm große Probleme: „Früher hat er sich an einem Brotkrümel so sehr verschluckt, dass ich den Notarzt rufen wollte, weil er den Krümel nicht alleine wieder aushusten konnte“, erzählt Graziella K. „Inzwischen kann er Salzstangen, Brezeln und Pommes zum Beispiel essen, ohne sich zu verschlucken. Das freut uns wahnsinnig!“

Nach geltendem Recht haben gesetzlich Versicherte in Deutschland einen Anspruch darauf, dass die Krankenkassen die Behandlung mit Spinraza und Brineura finanzieren: „Mit der Zulassung durch die EU-Kommission beginnt die Kostenübernahme der Krankenkassen im Rahmen des Sachleistungsprinzips, soweit der pharmazeutische Unternehmer das Arzneimittel in Deutschland verfügbar macht und es entsprechend der vom Hersteller beantragten Indikationen vom Arzt verordnet wird“, heißt es dazu beim GKV-Spitzenverband.

Der US-amerikanische Biotechnologiekonzern Biogen strebt nach eigener Auskunft an, sein Medikament Spinraza Anfang Juli in Deutschland verfügbar zu machen. Im ersten Jahr nach der Zulassung kann der Hersteller den Preis seines Produktes in Deutschland frei festlegen; für die Zeit danach handeln das Unternehmen und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen einen Preis aus.

In den USA, wo Brineura und Spinraza bereits zugelassen sind, liegen die Therapiekosten Medienberichten zufolge bei mehreren Hunderttausend Dollar pro Jahr und Patient. Sie gehören damit zu den teuersten Arzneimitteln überhaupt.

Sowohl Spinraza als auch Brineura gelten in der Europäischen Union als so genannte „Orphan drugs“, also Medikamente gegen besonders seltene Krankheiten. Den Herstellern solcher Arzneimittel wird laut EU-Recht zehn Jahre lang eine Marktexklusivität gewährt, außerdem entfallen in bestimmten Fällen Gebühren im Zulassungsverfahren. Dies soll als Anreiz für die Pharmaindustrie dienen, neue Medikamente auch für solche Erkrankungen zu entwickeln, bei denen wegen der geringen Zahl der Betroffenen möglicherweise kein großer Gewinn zu erwarten ist. Auf zahlreiche lebensverkürzende Erkrankungen trifft dies zu, da sie vergleichsweise selten auftreten.

Zum Hintergrund:

Der Bundesverband Kinderhospiz macht sich als Dachorganisation der stationären und ambulanten Kinderhospize für die Belange der weit über 40 000 lebensverkürzend erkrankter Kinder in Deutschland stark. Er engagiert sich politisch für bessere Rahmenbedingungen für die Kinderhospizarbeit und setzt sich dafür ein, dass betroffene Familien aus dem sozialen Abseits geholt werden. Das 2016 eingerichtete „Oskar Sorgentelefon“ des BVKH ist unter der Nummer 0800 8888 4711 zu erreichen.

www.bundesverband-kinderhospiz.de