Alltag und Freizeit ohne elektrische Energie, Gas, und Öl: Interview mit Ryta Mark

Ryta Mark ist erst Mitte 30, hat aber ihre Kindheit und Jugend in einem ländlichen Gebiet im postsowjetischen Weißrussland (Belarus) erlebt, das noch wenig Infrastruktur hat:
„Dort, wo ich herkomme, fährt – auch heute noch – kein Schulbus“, berichtet sie. „Die Kinder laufen eine Stunde zu Fuß in die Schule. Autos gelten als Luxus und sind eher nicht üblich.“ Abends sei der Heimweg im Winter „ziemlich gruselig“ gewesen, denn die wenigen Straßenlampen, die es gab, waren meistens kaputt.
Fließend kaltes und warmes Wasser kannte Ryta als Kind gar nicht. „Wir hatten überhaupt keinen Wasserhahn. Bis zu meiner Teenagerzeit musste ich kaltes Wasser erst von draußen holen. Wenn man warmes Wasser wollte, hat Mutter es in Töpfen heiß gemacht. Anfangs hat mein Papa das Wasser in einem großen 50-Liter-Container mit dem Traktor aus dem Ziehbrunnen im Dorf geholt, später hat Papa bei uns einen Brunnen gegraben. Der Traktor war schon ein Privileg, das er genoss, weil er auf der Kolchose arbeitete. Als er auf der Kolchose (landwirtschaftlicher Großbetrieb) zum Chauffeur des Kolchosen-Chefs aufstieg, durften wir einmal in der Woche dorthin fahren und duschen. Später hat er auf unserem Grundstück eine Banja (russisches Dampfbad) gebaut – aus Holz, das er im Wald geholt und selbst gesägt hat, und dort haben wir uns einmal in der Woche gewaschen.“
Die Banja wurde mit Holzfeuer beheizt, ebenso wie die Wohnhäuser. „Meine Eltern hatten einen Holzofen, der das ganze Haus beheizt hat Am schönsten war aber der Ofen bei meiner Oma. Sie hat in einem richtig alten Haus gewohnt. Da hatten wir eine Leiter, mit der wir auf den Ofen klettern und dort mittags schlafen durften. In dem Ofen hat Oma auch gekocht und aus saurer Milch Pfannkuchen gebacken, und die waren mega-lecker! Auf diesem Ofen hat es ganz besonders geduftet, nach Holz und Wärme. Und das ganze Haus konnten wir von dort oben beobachten.“

Ryta Mark /Foto:zg


Waschmaschinen hatten damals nur wenige, von Trocknern ganz zu schweigen. Ryta muss immer lachen, wenn sie gefragt wird, wie das denn mit den beengten Wohnverhältnissen vereinbar sei: „Natürlich kann man Wäsche draußen aufhängen, auch im Winter! Sie wird bretthart gefroren, und dann nimmt man sie rein und hängt sie über die Tür und auf zwischen den Türen gespannte Wäscheleinen, dort trocknet sie dann ganz schnell. Falls das jemand ausprobieren will: Vorsicht, die gefrorene Wäsche darf man nicht auseinanderziehen, sie bricht sonst wie Glas!“
Auch wo es Elektrizität gab, war die Versorgung nie zuverlässig. Es konnte immer mal vorkommen, dass der Strom für mehrere Stunden oder Tage abgeschaltet wurde. Das war nicht nur schlecht, betont Ryta Mark: „Wir haben damals die schönsten Parties gefeiert: Am Lagerfeuer oder zu Hause bei Kerzenschein haben wir Gitarre gespielt und gesungen. Das war viel stimmungsvoller und gemeinschaftlicher als die späteren Parties mit lauter Musik und Lightshow.“
Viel Benzin könnte man sparen, meint Ryta Mark, wenn man mehr mit der Hand arbeiten würde anstatt Maschinen einzusetzen. Motor-Rasenmäher zum Beispiel „gibt’s bei uns gar nicht. Jeder Mann und jede Frau hat eine Sense und kann mit ihr auch umgehen. Alles wird mit der Sense gemäht, auch das trockene Kartoffelkraut.“ Ganz viel Strom würde auch gespart, meint die studierte Kindheitspädagogin, wenn die Kinder draußen spielten statt am Computer. In ihrer Kindheit habe sie immer nur draußen gespielt, und heute staunten selbst ihre Erzieher-Kolleginnen immer wieder darüber, wie viele Spiele sie kennt.
„In den Horten hier gibt‘s einmal pro Woche einen Tablet-Tag oder Handy-Tag“, fährt Ryta Mark fort. Zu ihrer eigenen Schulzeit in Weißrußland hingegen habe es pro Woche einen Gartentag gegeben. „Das war richtige Gartenarbeit im Schulgarten, in dem wir zusammen mit den Bio- und Chemielehrern Gemüse zogen. Das Beste war ab der 5. Klasse, da fuhren wir in die Kartoffeln – nicht nur die Kinder: die ganze Schule war dabei, sogar der Rektor. Das war so toll – im Sommer Kartoffelkäfer in Eimer sammeln und gemeinsam Picknick machen, und dann im Herbst die Ernte: Ein Traktor fuhr voraus und grub um, die Kinder liefen hinterher, haben die Kartoffeln gesammelt und zum Wagen gebracht. In der Mittagspause haben wir Kartoffeln am Lagerfeuer gebraten. Wer die meisten gesammelt hatte, bekam einen kleinen Preis, und jeder durfte einen Eimer Kartoffeln mit nach Hause nehmen. Auch Flachs mussten wir ernten und binden, das hat weniger Spaß gemacht, denn es hat weh getan – aber dafür weiß ich, wie viel Arbeit das ist. Heute und hier würde man das wahrscheinlich als Sklaverei einschätzen, aber uns hat es meistens Spaß gemacht und ist bis heute eine schöne Erinnerung – und wir haben so viel dabei gelernt!“