Das System Familie

„In einem Mobile können alle Teile – unabhängig von ihrer Größe und Gestalt – gruppiert und ins Gleichgewicht gebracht werden, indem man die verbindenden Drähte kürzer oder länger macht und die Abstände zwischen den Einzelteilen verändert. Genauso ist es in einer Familie …. Wie in einem Mobile kann man nicht den einen verschieben, ohne an den anderen zu denken.“ So erklärt Viginia Satir in ihrem Buch „Selbstwert und Kommunikation“ den Grundgedanken der Systemischen Beratung.

Das ist die Erklärung dafür, warum Streit zwischen den Eltern dazu führen kann, dass das Kind plötzlich beispielsweise schlechte Noten schreibt oder Verhaltensauffälligkeiten entwickelt.
Jeder Mensch ist demnach Teil eines Systems, das aus seinen Mitmenschen und ihm selbst besteht. Alle Beziehungsgeflechte beeinflussen sich in einem ununterbrochenen Prozess gegenseitig. Jede Veränderung im System hat somit auch Auswirkungen auf das Umfeld, welches unbewusst versucht, wieder ein Gleichgewicht herzustellen.
Gerade Kinder sind ja existentiell von der Versorgung durch die Familie abhängig und halten bedingungslos zu ihren Eltern. Diese Bindung ist so stark, dass sie mehr wiegt als das eigene Glück. Selbst misshandelte Kinder wollen immer wieder in ihre Familie zurück.
Die Kinder sind mit den Eigenschaften des Familiensystems aufgewachsen und stabilisieren das System mit ihrem Verhalten.Sie spüren intuitiv, dass sie für das Funktionieren der Familie wichtig sind. Deshalb fühlen sie sich unbewusst schuldig, wenn die Eltern sich streiten, und reagieren darauf in einem hilflosen Versuch, das System wieder auszubalancieren.
Viele klassische Beratungsansätze basieren auf dem Prinzip von Ursache und Wirkung: Weil eine Person „Defizite“ aufweist oder sich nicht erwartungsgemäß verhält, entsteht ein „Problem“, das unerwünscht ist und daher gelöst werden soll. Dies kann zu gegenseitigen Schuldzuweisungen und Konflikt-Eskalationen führen. Nicht selten wird die Verantwortung hin- und hergeschoben. Diese Entwicklung ist jedoch kein gutes Fundament für eine Beratung und erklärt, warum sowohl Klient als auch Berater nicht selten den Eindruck haben, es gehe nichts vorwärts.
Systemische Berater denken in anderen Zusammenhängen: Sie betrachten immer die Systeme, in denen der Klient lebt – das sind ja in der Regel mehrere gleichzeitig: Familie, Arbeitsplatz, Schule, Verein… Jede noch so kleine Veränderung in einem System wirkt sich bis in andere Systeme hinein aus. Diese Auswirkungen erkennen wir in der veränderten Kommunikation, im Denken und Handeln. Ein Beispiel, das Sie möglicherweise kennen: Wenn wir im Arbeitsumfeld angespannt und gestresst sind, verändern wir automatisch unser Verhalten auch in der Familie. Die Familienmitglieder reagieren auf die neue Situation und verändern auch ihre Handlungsweise.
Zurück zum Beispiel der schlechteren Schulnoten oder Verhaltensauffälligkeiten: Versuche, rein die Leistung oder das „Benehmen“ zu verbessern, erhöhen nur den Druck auf das Kind. Systemische Berater sprechen nicht von Defiziten wie „Problemen“, „Fehlern“ und „Schwächen“. Sie sind überzeugt, dass die jeweilige Verhaltensweise in der Vergangenheit durchaus ihre Berechtigung hatten und nun nicht mehr in die aktuelle Lebenssituation passt. Jeder Mensch hat seine eigene, subjektive Wirklichkeit. Darin gibt es kein Richtig oder Falsch. Und Menschen handeln immer aus gutem Grund, auch wenn andere es nicht immer verstehen.
Der Systemiker würde also schauen, was hat sich verändert, wie war die Situation, als der Schüler noch gute Noten mit nach Hause brachte, und was braucht genau dieses Kind jetzt, um mit den Konflikten der Eltern kon­struktiv umgehen zu können?