„Digitalpakt“: Schub für Schulen oder Offenbarungseid?

Digitale Kompetenzen, schnelles Internet, interaktive Whiteboards – der „Digitalpakt Schule“ soll die „digitale Bildungsinfrastruktur“ der Schulen auf Vordermann bringen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung stellt dafür vom neuen Schuljahr an bis 2025 fünf Milliarden Euro bereit; hinzu kommen Mittel der Länder von rund 550 Millionen Euro.
„Digitalisierung prägt unsere Lebenswelt“, erklärt das Ministerium und sieht die Schulen als Ort, wo „die nötigen digitalen Kompetenzen“ vermittelt werden sollen. Dies erfordere eine bessere Ausstattung der Schulen. Digitale Kompetenz sei die Voraussetzung „für jeden Einzelnen und jede Einzelne“, um digitale Medien „selbstbestimmt und verantwortungsvoll“ nutzen zu können und „um gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben.“ Dies sei „von entscheidender Bedeutung für die Gesellschaft, um Demokratie und Wohlstand im 21. Jahrhundert zu erhalten.“
Gegen den „Digitalpakt“ hat sich ein in Stuttgart ansässiges „Bündnis für humane Bildung“ in Position gebracht; es sieht darin eine „Sackgasse“ und „eine Verschwendung von Steuergeldern für die Kassen der IT-Industrie“. Die „Technikgläubigkeit“ werde einen „pädagogischen Offenbarungseid“ zur Folge haben, erklärte das Bündnis, zu dessen Initiatoren der Ulmer Neurowissenschaftler Prof. Dr. Manfred Spitzer gehört. Die Wissenschaftler fordern stattdessen ein „Recht auf bildschirmfreie Kitas, Kindergärten und Grundschulen.“
In einer Erklärung verweisen sie auf fehlende qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer, Sozialarbeiter und Schulpsychologen: „Statt IT-Schulungen sollte es pädagogische Fortbildungen geben, damit Lehrer individuell mit sehr unterschiedlichen Schülern arbeiten können.“ Den 5,5 Milliarden Euro für den „Digitalpakt“ hält das Bündnis einen Investitionsstau von mehr als 34 Milliarden Euro an den Schulen entgegen; viele Fenster und Schultoiletten funktionierten nicht. Geld fehle für Theater, Musik und Sport sowie die gezielte Förderung der klassischen Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen – wer sie nicht erlerne, werde später in Schule und Ausbildung auf große Schwierigkeiten stoßen. „Doch die deutsche Bildungspolitik bastelt lieber an Potemkinschen Dörfern, die als Technikfassade errichtet werden“, so Bündnis-Sprecher Prof. Ralf Lankau.
Der Digitalpakt treffe jetzt auch die Grundschulen, wo Kinder brav nachahmen sollen, was ihnen Lernprogramme vorgeben. „Obwohl guter Unterricht immer von qualifizierten Lehrkräften abhängt – und nicht von der Medientechnik“, so Lankau.
Doch auch dem Bundesbildungsministerium ist klar: „Kein Medium alleine erzeugt gute Bildung.“ Dies allerdings gelte „auch für das Buch, das Schreibheft und die Kreidetafel. Es sind immer die pädagogischen Konzepte, die aus der Vielfalt an Angeboten gute Bildung machen.“ Daher gingen beim „Digitalpakt“ Investitionen in digitale Bildungsinfrastrukturen, pädagogische Konzepte sowie die gezielte Qualifizierung von Lehrkräften Hand in Hand und folgten dem Grundsatz: „Keine Förderung ohne Qualifizierung und ohne pädagogisches Konzept“, versichert der Bund.
Mit oder ohne pädagogisches Konzept – das „Bündnis für humane Bildung“ indessen lehnt Tablets, Beamer und Smartboards in Grundschulen rundweg ab. Schulen dürften das Sinken des „Einstiegsalters“ für Bildschirmmedien nicht auch noch forcieren. Der Bildungsauftrag werde in keiner Weise erfüllt, „wenn schon Grundschulkinder isoliert auf Tablets wischen.“ Viel wichtiger sei es für die ganze Entwicklung der Kinder, im Klassenverband zu lernen, „und zwar im ständigen Dialog mit Lehrerinnen und Lehrern.“ Lankau: „Grundschüler brauchen keine Computer, sondern Bewegung, künstlerische Aktivitäten und Naturerlebnisse.“
Das Bündnis bemüht selbst den Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier als Kronzeugen gegen Lern- und Test-Algorithmen und zitiert aus dessen Rede beim Evangelischen Kirchentag 2019: „Was bleibt vom Menschen, wenn neue Technologien immer tiefer in unsere Entscheidungen eingreifen, unser Denken lenken, unsere Wünsche formen?“to