Gewaltfreie Erziehung – geht das?

Meine Tochter Marlena ist vier Jahre alt. Immer wenn sie wütend ist, schlägt sie mich. Das macht mich selbst auch richtig wütend und am liebsten würde ich zurückschlagen. Sie darf mir ja nicht auf der Nase rumtanzen – wie wird das denn in ein paar Jahren?

Vielen Dank für Ihre mutige Frage. Werden Vierjährige, die mit ihrer Wut noch nicht umgehen können die Schläger von morgen? Mit vier Jahren sind die Kinder in einem Alter, in dem sie ihre Eigenständigkeit entdecken und ausprobieren. Sie entdecken, „Ich bin Ich!“ und „Ich bin anders als Mama und Papa“. Diese Erkenntnis wird oft von intensiven Gefühlen der Freude, aber auch von Wut und Enttäuschung begleitet. Denn nicht alles klappt, was Vierjährige sich vornehmen und ausprobieren. Plötzlich passt der Socken nicht über den Zeh und schon schlägt die Begeisterung in große Enttäuschung und Ärger um.
Dann brauchen Kinder ihre Eltern, die mit Geduld und Umsicht reagieren. Wie Sie schreiben, schlägt Marlena Sie aus ihrer eigenen Wut heraus. Für Ihre Tochter ist nun wichtig zu lernen: „Wir schlagen uns nicht gegenseitig!“, und „Wütend sein und seine Gefühle zeigen – ohne jemand zu verletzen – ist ok.“
Eltern zeigen ihren Kinder, wie ein gewaltfreies Miteinander geht. Besprechen Sie mit Ihrer Tochter in einer entspannten Situation, dass Schlagen in Ihrer Familie keinesfalls erlaubt ist. Übrigens ist es auch nicht gut für Ihre Tochter, wenn den Eltern aus Wut die Hand „ausrutscht“. Denn das macht Marlena ja auch: „Ich bin wütend und schlage zu.“
Kinder brauchen die Hilfe der Eltern, um mit ihren Gefühlen umzugehen. Worte für Gefühle helfen den Kindern sie zu erkennen und zu benennen. Dabei sind Eltern die besten Vorbilder: „Bist Du jetzt traurig, weil das Auto kaputt gegangen ist?“ Sprechen Sie in Ihrer Familie über Gefühle – auch über ihre eigenen „Ich bin ganz aufgeregt, weil ich morgen einen wichtigen Termin bei der Arbeit habe.“ So lernt ihr Kind, auch über seine Gefühle zu sprechen. Eine wichtige Fähigkeit, die Kindern in Beziehungen zu anderen Menschen sehr viel helfen wird. Ist der Konflikt mit Ihrem Kind schon eskaliert, ist es vielleicht auch manchmal gut, dass Sie als Erwachsener aus dem Zimmer gehen, um sich wieder zu beruhigen. Danach sieht manches anders aus.
Kommt Ihre Tochter und will Sie schlagen, erinnern Sie Marlena an die Regel und versuchen Sie ihre Hand zu stoppen oder gehen Sie einfach weg von ihr. Dabei erwarten Sie nicht, dass ihre Tochter sofort ihr Verhalten ändert. Das braucht etwas Zeit.
Wütende Vierjährige brauchen Eltern, die gelassen bleiben. Viele Eltern erleben sich in diesen Situationen sehr hilflos und das Kind sehr mächtig. Trotzdem haben die Erwachsenen die Verantwortung, eine gewaltfreie Lösung zu finden. Kennen Eltern diese spannende und auch anstrengende Phase der Identitätsfindung ist manches leichter. Außerdem helfen auch der Optimismus und das Wissen, dass aus wütenden Kindergartenkindern nicht die Schläger von morgen werden.
Eltern kennen ihr Kind am besten. Überlegen Sie gemeinsam mit Marlena, wie die Wut weniger werden kann: raus in den Garten, auf ein Kissen boxen, einmal laut schreien …
Manchmal werden Eltern durch die Wut der Kinder nochmals an die eigene Kindheit erinnert. Erst seit 2000 ist gewaltfreie Erziehung im Gesetz festgeschrieben. Dann hilft vielleicht der spannende Blick zurück in die eigene Gefühlswelt als Kind, damit Sie gelassen Eltern sein können und Ihre Kinder fröhlich gewaltfrei aufwachsen können.

Falls Sie dabei Unterstützung brauchen, freue ich mich, wenn Sie sich an eine Erziehungsberatungsstelle wenden – dafür sind wir da.