Schreibabys: Ursachen und Hilfen

Die sogenannte Dreier-Regel besagt: Weint ein Säugling mindestens drei Stunden täglich, an mindestens drei Tagen pro Woche, mindestens drei Wochen lang, spricht man von einem Schreibaby. Auch kürzere Schreiphasen können die jungen Eltern an den Rand ihrer Kräfte bringen. Hat der Kinderarzt körperliche Ursachen ausgeschlossen, bleibt den Eltern Frust statt Freude.

Weinen ist die Sprache des Säuglings

Weinen und Schreien ist ein ganz natürliches Ausdrucksmittel von Säuglingen und Kleinkindern, um ihren inneren Stresszustand anzuzeigen. Die Ursachen können vielfältig sein: Hunger, Durst, Müdigkeit, Angst, Langeweile, Über- oder Unterstimulation, Krankheit, Schmerzen, Alleinsein, Hitze, Kälte, oder einfach nur eine volle Windel.

Auf Bedürfnisse aufmerksam machen

Die Kinder gehen davon aus, dass die Bindungspersonen das Schreien hören, richtig interpretieren, angemessen und prompt darauf reagieren und das jeweilige Bedürfnis befriedigen. Feinfühlige Bindungspersonen sind ziemlich beschäftigt damit, die verschiedenen Arten des Schreiens zu entschlüsseln und die passende Antwort zu finden und Dosierung und Intensität auf das Bedürfnis des Kindes abzustimmen. Ein „zuviel“ oder „zuwenig“, selbst bei der richtigen Antwort, kann Anlass zu weiterem Quengeln und Schreien sein. Es ist gar nicht so leicht, das richtige Maß zur rechten Zeit zu finden.

Gibt es im Alltag der Eltern zusätzliche Stressfaktoren und Unsicherheiten, kann es leicht passieren, dass die feine Abstimmung zwischen Kind und Bindungspersonen von Anfang an belastet ist.

Nur ein Symptom

Oft sind unruhige Kinder nur Symptomträger. Stress, Ängste, Beziehungskonflikte, Bindungsstörungen und traumatische Erfahrungen aus der eigenen Kindheit übertragen sich auf die Kinder. Das gleiche gilt für Schlaf- und Esstörungen, Angst, Wutanfälle und Trennungsprobleme der Kinder. Kinder reagieren sehr sensibel auf die Emotionen der Eltern. Selbst wenn eine Mutter äußerlich ruhig bleibt, spüren schon Säuglinge sehr deutlich die innere Anspannung und können nicht zur Ruhe kommen.

In der Beratung erlebe ich Mütter, die erzählen, wie schwierig ihr Baby ist. Bei genauerem Nachfragen stellt sich heraus, dass sie selbst großen Stress vor oder nach der Geburt hatten oder sich im Alltag mit dem Kind zu viel aufbürden. Das Kind ist dann unruhig, überschüttet mit Eindrücken und kommt nicht zur Ruhe. Oft entspannt sich die Situation schon im Laufe des ersten Gesprächs, manchmal braucht es eine längere Beratung.

Stresshormone

Studien belegen, dass Säuglinge von Müttern, die während der Schwangerschaft „kritischen Lebensereignissen“ ausgesetzt waren, im Schnitt eine halbe Stunde länger pro Tag

schreien als Babys unbelasteter Mütter. Ursache ist eine erhöhte Stresshormonkonzentrationen und in Folge davon eine herabgesetzte Stresstoleranz. Gerade wenn es in der Schwangerschaft erhöhte Stresssituationen gab, ist es wichtig, dass die Kinder eine gute Unterstützung ihrer Stressregulation bekommen.

Perfektionismus

In der ersten Zeit haben die Bedürfnisse des Säuglings höchste Priorität, nicht der perfekte Haushalt, das perfekte Outfit, die optimalen Förderprogramme für Kleinkinder von Babyschwimmen bis Pekip oder das perfekte Zeitmanagement. Babys haben ihre eigenen Bedürfnisse, und die ändern sich ständig, sie lassen sich nicht durch eine strukturierte Aufgaben-Liste planen und abarbeiten. Ist die Bindungsbeziehung von Anfang an verlässlich, lernt das Baby sehr bald, sich selber zu beruhigen, im Vertrauen darauf, dass im Zweifel eine Bezugsperson fürsorglich da ist. Ist das gelungen, haben die Eltern auch wieder Zeit, sich um den Alltag drumherum zu kümmern.

Eigene Kindheitserfahrungen

Eigene Bindungserfahrungen sind entscheidend, ob die Beziehung zu unseren Kindern gelingt. Haben wir in unserer Kindheit eine sichere Anbindung an unsere Eltern erlebt und verinnerlicht, können wir diese lebenslang abrufen. Dann sind wir in der Lage, auf die Bedürfnisse des Säuglings in adäquater Weise zu reagieren. Wenn wir genauer hinschauen, gibt es in unserem Kulturkreis keine lange Tradition, feinfühlig auf die Bedürfnisse der Babys einzugehen: „Man darf Kinder nicht verwöhnen“, „Schreien stärkt die Lungen“ sind Sätze, die uns allen noch in den Ohren klingen. Die zahlreichen Ratgeber die es auf dem Markt gibt, sorgen oft für noch mehr Verwirrung als Hilfe, denn zu einem Thema gibt es je nach Konzept oft sehr widersprüchliche Ratschläge.

Je vertrauensvoller wir uns auf unsere Wahrnehmung und Intuition verlassen können, desto eher gelingt die feine Interaktion mit unserem Kind. Wenn wir merken, dass es uns schwer fällt, den Spagat zwischen den eigenen Bedürfnissen, den Bedürfnissen des Kindes und dem Umfeld zu meistern, hilft der Austausch mit anderen Eltern sehr. Zu sehen: „Ich bin nicht alleine“, ist eine große Erleichterung. In manchen Bereichen gelingt es bei uns ganz gut, in anderen Bereichen können wir von den Erfahrungen von Freunden und Bekannten profitieren. Finden wir in diesem Austausch keine Hilfe, lohnt es sich, professionelle Begleitung in Anspruch zu nehmen

Persönliche Selbstsorge

Geht es Ihnen gut, geht es auch Ihrem Kind gut. Anstatt ein weiteres Angebot zu suchen, um das Kind zu fördern, schauen Sie, was Sie sich Gutes tun können, und wo sie Unterstützung und Hilfe im Alltag finden, damit das Auftanken persönlicher Kraftquellen nicht zu kurz kommt.