In guten wie in schlechten Zeiten

Plötzlich ist er da – der Moment, in dem wir unserem Partner gegenüber sitzen, und uns fragen, ob das alles gewesen sein soll? Ob wir wirklich den Rest unseres Lebens mit diesem Menschen verbringen möchten? Wir erinnern uns kaum mehr an die knisternde Zeit am Anfang der Beziehung, täglich der gleiche Trott.

Wir sind groß geworden mit Märchen, in denen der Prinz harte Prüfungen zu bestehen hat, bis er die Hand seiner Angebeteten bekommt. Darauf folgt die Hochzeit, das Glück ist perfekt und dann leben sie glücklich bis ans Lebensende. Das Hollywood-“Happy End“ folgt demselben Muster. Bekommen nun wir reale Menschlein das mit dem Glücklichsein bis ans Lebensende nicht hin, schlussfolgern wir logisch: Dann war er/sie wohl doch nicht der/die Richtige.
Diese Überzeugung ist weit verbreitet. Ich erlebe täglich Paare, die nach einer frustrierenden Zeit der Anklage, der Langeweile und des Streits das Projekt Ehe für gescheitert erklären und sich aufmachen, das Glück in einer neuen Beziehung zu suchen.
Ist der neue Traumpartner gefunden, scheint das Glück perfekt, bis sich nach zwei, drei Jahren herausstellt, dass auch diese Wahl leider wieder eine Enttäuschung ist. Wie kann das sein? Verlieben wir uns immer in die falschen Menschen?
Die Frage ist falsch gestellt. Denn wenn wir nicht glücklich werden, liegt es nicht daran, dass wir uns in die falschen Menschen verlieben, es liegt viel mehr an unseren falschen Erwartungen!

Die eigenen Bedürfnisse mitteilen
Es ist meist ein grundlegendes Missverständnis, das in langjährigen Beziehungen für Frust sorgt: Blindes Verständnis füreinander, wie wir es in der ersten Verliebtheitsphase gespürt haben, setzen wir auch im späteren Verlauf der Beziehung voraus. Wir erwarten, dass der andere unsere unausgesprochenen Wünsche erfüllt, sind bitter enttäuscht, wenn das, was wir in unserem Kopf zurechtgelegt haben, nicht eintritt, und werfen ihm dann womöglich auch noch vor: „Wenn Du mich wirklich lieben würdest, wüsstest Du, was mir fehlt!“ Dadurch schrumpft nicht nur das Verständnis füreinander, sondern auch die Bereitschaft, dem anderen eine Freude zu bereiten.
Der Schlüssel ist: Reden – über die eigenen Gefühle, die eigenen Bedürfnisse, die eigene Innenwelt. Dafür müssen wir allerdings selbst erst einmal wissen, was wir brauchen. Denn, seien wir mal ehrlich, viel einfacher ist es, die eigene Unzufriedenheit der angeblichen Unaufmerksamkeit des Partners in die Schuhe zu schieben. Es erfordert mehr Mut und Arbeit, sich selber an der Nase zu packen und zu schauen, was bei einem selber nicht rund läuft.

Mein Glück – meine Verantwortung
Viele Schlager haben Titel wie: „Du bist mein Leben“ ,„ Du bist mein alles“ ,„Du Glück meines Lebens“. Das hört sich am Anfang ja vielleicht ganz romantisch an – aber es ist die komplette Überforderung! Dieses hohe Ideal kann kein Mensch erfüllen, da ist die Enttäuschung vorprogrammiert, und zwar ganz wörtlich: das Ende einer Täuschung. Kein Mensch auf der Welt ist in der Lage, uns dauerhaft glücklich zu machen. Jeder hat seine ganz eigenen Wünsche und Bedürfnisse, die kein anderer Mensch dauerhaft erfüllen kann.

Alte Beziehungserfahrungen
wirken mit
Unsere Partnerwahl hat sehr viel mit uns selber zu tun. Die Atmosphäre, in der wir groß geworden sind, entscheidet darüber, in wen wir uns verlieben. Unbewusst entscheiden wir uns für Partner, die ähnliche Persönlichkeitsstrukturen haben, wie wir sie in unserem Elternhaus erlebt haben. Wenn wir richtig verliebt sind, glauben wir endlich angekommen zu sein, ein Gefühl von Vertrautheit und Heimat stellt sich ein.
Das bestätigt sich dann in gewisser Weise genau so, allerdings auf eine Art, die wir uns nicht gewünscht haben. Die liebevolle Partnerin ist nach einer gewissen Zeit genauso so kontrollierend wie unsere Mutter, der sanfte Ehemann entpuppt sich über die Zeit als cholerischer Rechthaber, genau wie unser Vater. Schlagartig sind wir verletzt und zutiefst gekränkt, wie kann der Mensch, von dem wir geglaubt haben, er/sie sei unsere große Liebe, uns so verletzen? Getroffen ziehen wir uns zurück oder beginnen einen lautstarken Streit.
Wir glauben, an dem ganzen Schlamassel sei der Partner schuld. Wenn der nicht so gemein und rücksichtslos wäre, wäre alles gut. Doch wenn wir innehalten und genau hinschauen, rührt der Partner nur an alte Wunden und weckt damit Verletzungen, die wir seit unserer Kindheit oder aus früheren Beziehungen mit uns herum tragen.
Je höher der aktuelle Stresslevel ist (bedingt durch berufliche Anspannung, kleine Kinder, Schlafmangel, finanzielle Sorgen, Krankheit etc.), desto stärker greifen alte „Notfallprogramme“. Unvermittelt fühlen wir uns genauso hilflos ausgeliefert wie damals, als wir von unserer Mutter oder unserem Vater gemaßregelt wurden, und verlieren durch die emotionale Überflutung völlig den Bezug zum Hier und Jetzt.
Heute sind wir erwachsen und könnten uns theoretisch wehren oder verteidigen, was das kleine Kind damals aufgrund der Übermacht der Eltern tatsächlich nicht konnte. Anstatt also wütend und enttäuscht über unseren Partner zu sein, sollten wir uns mit uns selber auseinandersetzen: Woher rührt unsere Verletzbarkeit in diesem Punkt, und was können wir selber tun, um diese Wunde zu heilen?

Sich selbst ins Lot bringen
Sind wir sehr leicht gekränkt, beleidigt, wütend oder aufbrausend, ist das ein Zeichen dafür, dass wir uns selbst schlecht regulieren können. Die meisten Beziehungsprobleme haben ihre Ursache in einem Mangel an „Selbstregulation“, das ist die Fähigkeit, mit der Menschen ihre Aufmerksamkeit, Emotionen, Impulse und Handlungen steuern können. Reagieren wir stark emotional, ist dies zwar zunächst eine Reaktion auf ein Verhalten unseres Partners, verlieren wir aber die Kontrolle über unsere Gefühle, liegt das viel mehr an unserer Selbstregulation als an der aktuellen Situation. Gerade in einer Partnerschaft kennen wir die wunden

Punkte unseres Gegenübers sehr genau. Werden wir verletzt, wissen wir präzise, wie wir im Gegenzug unseren Partner treffen können. So wird schnell aus einer Lappalie ein handfester Streit.
Die Situation entschärfen können wir, indem wir auf eine verletzende Bemerkung nicht sofort zurückschießen, sondern tief durchatmen und ruhig bleiben. Hören wir uns an, was der Partner zu sagen hat. Und kümmern uns später um unsere eigene Verletzlichkeit: Warum trifft mich gerade diese Aussage so tief? In der Regel hat diese emotionale Getroffenheit mit früheren Verletzungen zu tun, meist schon aus unserer Kindheit; unser Partner hat daran den geringsten Anteil. Schwierige Beziehungen fordern uns heraus, sie sind aber auch eine große Chance, uns selber in unseren Reaktionsmustern besser zu verstehen.

Mit Veränderungen umgehen
Alles fließt und verändert sich. Wir sind nicht mehr dieselben wie am Anfang unserer Beziehung und unsere Partner auch nicht. Gemeinsame Kinder verändern die Paardynamik und das eigene Wohlbefinden sehr.
Es ist eine Herausforderung, Kinder, Karriere, Familie und Partnerschaft unter einen Hut zu bringen. Irgendwann fragen wir uns, wann wir den Partner zum letzten Mal wirklich bewusst wahrgenommen haben. Das passiert vor allem, wenn der Alltag wieder mehr Luft zum Atmen lässt, wenn die Kinder größer geworden sind oder – ganz banal – weil Ferien sind. Dann kann es passieren, dass einen das Gefühl von Entfremdung kalt erwischt. Kein Grund zur Panik! Das bedeutet nicht das Ende der Beziehung. Es ist ein Warnsignal, dass die Paarbeziehung schon lange vernachlässigt wurde. Es ist Zeit für einen Neuanfang, um sich wieder ganz behutsam neu zu entdecken, gemeinsam Zeit zu verbringen, Aktivitäten auszuprobieren, die beiden Spaß machen. Egal, was man unternimmt, Hauptsache, beide lassen sich darauf ein: eine Bergtour, ein Tanzkurs, vielleicht ein Einkehrwochenende im Kloster….

Sich die guten Seiten bewusst machen
Wenn wir uns fragen, wann wir uns zuletzt ehrlich für unseren Partner interessiert haben, ihn zugewandt gefragt haben, wie sein Tag war, fällt auf: Der liebevolle Blick auf den anderen kommt schnell zu kurz. Eigentlich schade: Viel zu sehr fokussieren wir uns in der Partnerschaft auf das, was nicht läuft. Das Problem dabei ist: Je mehr Aufmerksamkeit wir einer Sache geben, desto größer wird sie. Das gilt auch für die Dinge, die uns in einer Beziehung stören. Es wird also höchste Zeit für einen Perspektivwechsel! Die Vorweihnachtszeit, das Fest der Liebe eignet sich besonders, auf die positiven Seiten des Partners zu blicken:
Was ist es, das mich ganz am Anfang so an diesem Menschen fasziniert hat? Welche Eigenschaften finde ich besonders schön, aufregend und liebenswert? Vielleicht ist es sein Humor, der mich auch in schwierigen Situationen zum Lachen bringt? Ich genieße die wohlige Wärme, wenn er mich in den Arm nimmt. Es ist schön, zu Hause ein leckeres Essen zu bekommen. Ich freue mich über ihren liebevollen Umgang mit unseren Kindern, das habe ich in meiner Kindheit vermisst. Ich bin dankbar, dass ich mir keine Sorgen machen muss, wie die Rechnungen zu bezahlen sind. Die Liste lässt sich unendlich weiter führen. Wenn Sie genau hinschauen, finden Sie unzählige Dinge, die nicht selbstverständlich sind und für die es sich lohnt, dankbar zu sein.
In diesem Sinne: eine frohe Adventszeit!