Nervende Kinder

So wie Ihnen geht es seit März vielen Eltern. Im Homeoffice arbeiten und gleichzeitig Kinder zu betreuen heißt: Eltern haben zwei Jobs. Viele Eltern können ausgezeichnet organisieren unter dem Motto „Ich passe morgens auf die Kinder auf und Du nachmittags“. Aber wenn beide 100% arbeiten wird auch dieses schon anstrengende Modell nicht ausreichen. Dann brauchen Sie die Nacht zum Arbeiten oder arbeiten effektiver….Alles keine entspannten Lösungen für die Erwachsenen und für die Familie.

Gleichzeitig haben Eltern und Kinder viel gemeinsame Zeit, z.B. gemeinsames Essen, gemeinsames Draußen sein… Für viele Familien sind dies auch schöne Zeiten und eine gute Erfahrung im Familienleben. Mit beiden Eltern gemeinsam morgens am Frühstückstisch zu sitzen, ist für viele Kinder schön.

Durch das Homeoffice-Modell hat sich aber im Familienleben oft etwas Grundlegendes verändert. Während früher die Eltern nach der Kita das Kind abgeholt haben und sie gerne als Familie einen möglichst konfliktfreien Abend verbringen wollten, gibt es nun einen gemeinsamen Alltag von morgens bis abends unter erschwerten Bedingungen.

Den Eltern fehlen oft die Kolleg*innen und der persönliche unbeschwerte Austausch ohne
Abstandsregeln mit anderen Erwachsenen. Den Kindern fehlen die Gleichaltrigen und die Struktur von Schule und Kita. Kinder erleben Eltern, die gerade Lego spielen und innerlich an dem Bericht, der heute noch weg muss, basteln. Das merken Kinder ganz genau –und damit fängt es an, schwierig zu werden.

Sind Erwachsene aber im Stress, sind es die eigenen Kinder auch. In Gesprächen schildern Eltern immer wieder, „Ich war im Stress – hatte ein wichtiges Telefonat und genau dann kam mein Kind und zerrte an mir“. Die Verbindung zwischen Eltern und Kind funktioniert ganz ohne Worte. Kinder lesen die Körpersignale der Eltern, z.B. Schulter hochziehen, ein starrer Blick…Anspannung. Das Kind entschlüsselt oft den Stress der Erwachsenen, bevor es den Eltern bewusst wird.

Und dann reagieren die Kinder sehr passend, nämlich indem sie Schutz und Sicherheit mit ihrer Verunsicherung bei den Eltern suchen. Wie schön!, denn es zeigt die enge Bindung zwischen den Eltern und den Kindern. Wenn Mama oder Papa in dieser Situation aber gerade ihre Aufmerksamkeit auf einen Bildschirm richten, geben die Kinder ein klares Signal „Hier bin ich!“.

Erleben Eltern dies als störend und nervig, beginnt oft die Eskalation. „Lass mich in Ruhe, ich muss arbeiten!“ Kinder, die in diesem Moment die Eltern als Sicherheit brauchen, weil sie die gesamte Anspannung der Eltern spüren und nicht einordnen können, werden sich nicht zufrieden geben. Sie werden weiter den Kontakt zu den Eltern suchen – oft lautstark und fordernd. Hilflosigkeit und Wut bestimmen dann oft die Reaktion der Erwachsenen. „ Warum kann sie nicht abwarten! Mein Kind macht mich so wütend, dass ich schreie und ich auch schon zugeschlagen habe.“

Kinder sind keine Erwachsenen – Kinder sind auf ihre Eltern angewiesen – je jünger die Kinder sind, desto mehr. Darum suchen sie gerade in Stresssituationen die Nähe der Eltern und brauchen Erwachsene, die das wissen. Dann braucht es ein Unterbrechung des eigenen Plans und die Zuwendung zum Kind. Was braucht mein Kind gerade? – Und es braucht eine klare Einschätzung, was Kinder aufgrund ihres Alters wirklich schon können. Meist überschätzen Eltern ihre Kinder in diesen Situationen völlig. Ein gutes Bespiel ist die Frage, wie lange sich Kleinkinder alleine beschäftigen können. Ungefähr 15-30 Minuten können 2- 3 jährige schon alleine spielen. Die meisten Eltern schätzen 1 Stunde und mehr.

In 15 Minuten haben die Eltern in Homeoffice gerade sich den Überblick über die anstehenden Aufgaben verschafft und können dann ihren Computer getrost wieder ausmachen. Homeoffice ohne eine Betreuung durch einen Erwachsenen funktioniert mit Kleinkindern einfach nicht.

Außerdem haben auch größere Kinder ein anderes Zeitgefühl als Erwachsenen – sie leben im Hier und Jetzt. Darum sind die Zeitpläne der Erwachsenen kein Argument für Kinder abzuwarten oder ihr Spiel zu unterbrechen. Nicht zu vergessen, dass Ihre Kinder vielleicht schon um halb 8 morgens mit ihren Schuhen in der Hand dastehen und raus wollen, oder der erste Geschwisterstreit im Bad schon eskaliert ist.

Kurzum: Kinder brauchen die Aufmerksamkeit der Eltern gerade in dieser Zeit, in der so vieles sich verändert hat. Finden Sie heraus, was für Sie besonders anstrengend in diesem neuen Alltag ist und wie Sie damit umgehen wollen. Dabei sind kreative Lösungen gefragt. Ratschläge werden Ihnen hier wenig helfen.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie die gemeinsame Zeit mit Ihren Kindern auch für schöne Erfahrungen nützen. Übernehmen Sie als Eltern die Verantwortung dafür, wie ein kindgerechter Alltag jetzt aussehen kann – immer mit dem Wissen: Kinder sind Kinder und keine Erwachsenen. Und letztlich gilt, Kinder zu haben und diese zu begleiten heißt auch, ich brauche Zeit für diese wichtige Aufgabe.