Trennungskonflikte – versagen Ämter?

Versagen Familiengerichte und Jugendämter bei Trennungskonflikten der Eltern? Zustandsbericht offenbart desaströse Lage im Familienrecht in Deutschland

„Der Kampf dauerte jahrelang und das Kind ist mittlerweile volljährig, nicht gesellschaftsfähig und ohne soziale Kompetenz. Für mich Kindesentzug!“ Viele hundert Nachrichten wie diese bekamen die Initiatoren eines „Zustandsberichtes zur Lage im Familienrecht in Deutschland, an dem sich fast 1.200 Eltern, Großeltern und Angehörige aktiv beteiligt haben. „Die Ergebnisse allein dieses Berichtes betreffen rund 2.000 Kinder und zeigen in bedrückender Deutlichkeit, welch menschliches Leid durch das Familienrecht in der Bundesrepublik Deutschland und durch die beteiligten Institutionen und Fachkräfte verursacht wird“, so Ulf Hofes als Vorstand des Verbands für Getrennterziehen „Papa Mama Auch“. Hochgerechnet betreffe es je nach Studie jedes Jahr rund 25.000 bis 40.000 Kinder.

Neben den betroffenen Eltern wurden namhafte Experten und ehemals entfremdete, heute erwachsene Kinder befragt. Es ging um die Erfahrungen mit Familienberatungsstellen, Jugendämtern, Verfahrensbeiständen, Gutachtern und Familiengerichten sowie die Wünsche der Betroffenen an die Politik. Darüber hinaus fragten die Initiatoren nach gesundheitlichen, psychischen und wirtschaftlichen Folgen, zeigen Fallbeispiele auf und haben namhafte und erfahrene Experten um Ihre Kommentare und Einschätzungen gebeten.

Bei Kontaktabbruch verlieren Kinder fast immer auch die Großeltern und immer öfter die Mütter

„Bei fast einem Drittel der Kontaktabbrüche geht den Kindern der Kontakt zu den Müttern verloren und in 80% verlieren die Kinder auch Oma und Opa“, gibt Hofes Einblick in Details des Berichtes. Es sei also längst kein Väterproblem mehr, sondern ein enormes soziales Problem, wo Institutionen, Politik und Gesetzgebung nach wie vor zu Lasten von Kindern und Familien nach Trennung und Scheidung versagen, mit oft dramatischen Folgen für alle Beteiligten. „Die Kinder verlieren mit dem Elternteil, den Großeltern, (Stief-) Geschwistern und Verwandten oft wichtige Bezugs-, Vertrauens- und Schutzpersonen“, schildert Erziehungswissenschaftlerin Dr. Charlotte Michel-Biegel und ergänzt: „Auch Elternteile und Verwandte leiden unter dem Kontaktabbruch. Sie fühlen sich oft ohnmächtig und hilflos, führen einen jahrelangen Kampf um die Kinder.“ Schlechte Verfassung (76%), schlechte Arbeitsproduktivität (34%), Jobverlust (16%), ärztliche Behandlungen oder Therapien (46%) infolge Traumatisierungen oder Depressionen sind laut Bericht nicht selten die Folgen. In schlimmen Fällen könne es bis zu Suizidgedanken (34%) oder auch Suizidversuchen (4%) gehen.

Jugendämter als „Urheber“ von Kontaktabbrüchen? – 80% schlechte Erfahrungen im Familienrecht

Bemerkenswert ist, dass 60% der Eltern beim Jugendamt die Urheberschaft der Entfremdungsaktivitäten sehen, fast jeder zweite Elternteil bei den Familiengerichten (48%). Schlechte Erfahrungen im Familienrecht haben 80% gemacht, wobei sich die Familiengerichte allzu oft nicht um eigene Aufklärung bemühten (70%) oder Verfahren gesetzeswidrig bis zu einem halben Jahr und länger verschleppen. Dabei haben die Jugendämter laut Bericht oft falsche Eindrücke an das Gericht geschildert (49%) und Kontaktabbrüche durch sein Berichtswesen begünstigt (68%). Dass die Jugendämter bemüht und hilfreich waren, bestätigen 4%. Auf den gleichen Wert kommen „gute Erfahrungen“ der Betroffenen mit dem Rechtsstaat im Familienrecht. „Mit der Umfrage bewerten wir nicht die Arbeit der Jugendämter, Familiengerichte oder Beratungsstellen. Aufgrund unserer Erfahrungen, unserer Tätigkeit und der Ergebnisse des Berichtes kommentieren wir sie. Aus den Antworten und Beiträgen können die Fachstellen und vor allem auch die Politik selber erkennen, wo die größten Herausforderungen liegen. Vieles deckt sich dabei sicher mit eigenen Erfahrungen der Fachstellen“, betont Erziehungswissenschaftlerin Michel-Biegel und weiter: „Uns geht es darum, mit unserem Bild einen Beitrag zu leisten für Innovationen, Verständnis und Veränderungen.“ Die Politik sieht sie dabei in der dringenden Pflicht, endlich zeitgemäß den Rahmen anzupassen.

Ehemals entfremdete Kinder leiden oft ein Leben lang unter den Folgen

Befragt wurden auch ehemals entfremdete Kinder, die heute als Erwachsene noch immer unter den Folgen leiden. „Mein Vater starb, bevor ich den Wunsch entwickelte, ihn kennenzulernen. Ich weiß so gut wie nichts über meinen Vater. Ich kann meine Mutter auch nicht darauf ansprechen, da ich dann Angstzustände entwickle, wenn ich anders über ihn rede, als ihn zu beschimpfen. Positiv über ihn reden ist gegenüber meiner Mutter unmöglich – davor habe ich massiv Angst“ schildert ein Betroffener und spricht über Mobbing und Drogenmissbrauch in der Jugend, andere ehemals entfremdete Kinder sprechen von Verhaltensauffälligkeiten, Depressionen, wenig Freunden und Ängsten vor fester Bindung. „Irgendetwas bleibt bei fast allen Kindern lebenslang hängen“, weiß die Erziehungswissenschaftlerin Michel-Biegel aus ihrer jahrzehntelangen Erfahrung.

Die Politik versagt seit Jahren, obwohl die Probleme und Folgen bekannt sind

„Acht Jahre hatten die Große Koalition und allem voran die SPD-Ministerien für Justiz und für Familie reichlich Zeit, um dringend notwendige Reformen im Familienrecht auf den Weg zu bringen. Zuletzt war es im Koalitionsvertrag fixiert. Es gab Arbeitsgruppen der Ministerien, runde Tische mit Lobbygruppen und Verbänden, Studien sowie Anhörungen in diversen Ausschüssen. Es gab reichlich Anfragen der Opposition und jede Menge Berichte und Beiträge in TV und Presse.  Unser Eindruck ist: Die SPD-geführten Ministerien haben sich einer nachhaltigen Reform verweigert. Das muss im anstehenden Wahlkampf dauerhaft thematisiert werden“, fasst Ulf Hofes die Konsequenzen aus dem Zustandsbericht zusammen und fordert, das dringende Bedürfnis der Kinder auf beide Eltern samt Großeltern und Verwandten endlich ganz oben auf die politische Agenda zu nehmen.

Kinder brauchen den sicheren Kontakt zu beiden Eltern.

Die Situation im Familienrecht in Deutschland, die Fehlleistungen von Beteiligten, wie sie im beigefügten Zustandsbericht umfangreich dargestellt sind, müsste zukünftig ausgeschlossen sein. Dem kämen laut Hofes die derzeit vorliegenden Referentenentwürfe des Justizministeriums nicht einmal ansatzweise nach, sondern würden zusätzliches Chaos und weiteren Streit verursachen. Dabei ginge aus dem Zustandsbericht auch hervor, dass fast 80% die Frage nach Gewalt mit Nein beantwortet haben. Gleichzeitig fordern 87%, dass der Eltern-Kind-Entfremdung dringend wirksam begegnet werden muss.