Unterricht in Sachen Glück

Glücklichsein kann man lernen. Davon ist Katrin Strazzeri überzeugt. Zusammen mit Hanna Münch unterrichtet sie seit Beginn dieses Schuljahres einmal pro Woche „Glück“ als Schulfach in der Ethikgruppe der zweiten Klassen an der Neu-Ulmer Weststadtschule.

„Es geht um Selbstvertrauen, Achtsamkeit und Empathie“, erklärt Katrin Strazzeri die Säulen, auf denen das Glück aufbaut. Gerade sie gingen „in unserer verrückten digitalen Welt“ leicht verloren.

In ihren Kinder-Kunst-Workshops hat sie über Jahre hinweg beobachtet, wie sich das Verhalten der Kinder verändert hat – und findet es gruselig: „Viele Kinder sind gar nicht mehr da, sie leben in einer digitalen Welt, die nichts mit ihnen und ihren Bedürfnissen zu tun hat.“ Als Leiterin fühle sie sich oft, „als sei ich ein Tablet: Die Kinder stehen vor mir, stellen eine Frage nach der anderen, alle durcheinander – und warten nicht auf die Antwort. Sie schauen einen auch nicht richtig an.“ Beim Betreten einer Ausstellung stürzten sich die meisten sofort auf den nächstbesten Bildschirm oder Kopfhörer, ohne auch nur die Einführung abzuwarten – „selbst wenn Englisch aus den Kopfhörern tönt und sie gar nichts verstehen.“

„Die Kinder haben keine Geduld mehr“, fasst Katrin Strazzeri zusammen, „sie wollen nicht warten, was vielleicht geschehen könnte. Sie schauen nicht nach links oder rechts und nehmen den anderen nicht mehr wahr. Viele haben sogar verlernt zu spielen – und wenn sie doch mal miteinander speilen, geraten sie ganz schnell in Streit: Ihre Toleranzgrenze ist auf ein Minimum geschrumpft, weil es in den Bildschirmspielen nur „die Guten“ und „die Bösen“ gibt – keine Eigenschaften, keine Zwischentöne, keine Gefühle.“ Empathie sei in dieser Umgebung schlicht nicht möglich.
Empathie
Da es aber zu den glücklichsten Momenten im Leben gehört, sich selbst und einen anderen Menschen im Einklang zu erleben, und Empathie die Voraussetzung dafür ist, bringt Katrin Strazzeri ihren Schülern Empathie im Unterricht bei. „Ich zeige ihnen zum Beispiel Fotos von Gesichtern, die Gefühle ausdrücken, und lasse sie diese deuten, damit sie wieder lernen, darauf zu achten: Wie geht‘s meinem Gegenüber?“ Oder sie liest mit den Kindern das Buch „Ich bin immer für dich da“ und lässt sie die Handlung nachspielen. „So lernen sie, angemessen auf einen anderen, der vielleicht gerade traurig oder wütend ist, zu reagieren, und auch, miteinander zu sprechen, anstatt sofort dagegenzuhalten.“

Achtsamkeit
Um auf einen anderen eingehen zu können, muss man ihn erstmal wahrgenommen haben; um dies angemessen zu tun, muss man auch wissen, wie es einem selbst gerade geht. Beides erfordert Achtsamkeit, und die üben die „Glücks“-Schüler zum Beispiel mit Kinderjoga, richtigem Atmen und speziellen Achtsamkeitsübungen wie zum Beispiel dem sehr bewussten Verzehr eines einzelnen Wibele, nachdem man es zunächst eingehend betrachtet und beschnuppert und darüber nachgedacht hat, wer alles dafür gearbeitet hat, dass dieses Wibele entstehen konnte.

Selbstvertrauen
„Der Satz, den wir im Unterricht von Kindern am häufigsten hören, ist: Ich kann das nicht“, berichtet Katrin Strazzeri. Ein solcher Mangel an Selbstvertrauen entstehe vor allem dann, wenn Eltern ihren Kindern „Probleme aus dem Weg räumen, bevor sie überhaupt entstehen“, wie Strazzeri es formuliert. In ihren Kunstworkshops habe sie früher Eltern erlebt, „die in die Arbeit des Kindes eingegriffen haben: Nein, das geht anders, schau mal, so geht das…“ – und dann haben die Eltern weitergebastelt, und das Kind stand frustriert daneben.“ Ihre Workshops hat sie daraufhin „nur für Kinder“ gestaltet, die Eltern mussten ganz draußen bleiben, damit die Kinder sich entfalten konnten.

Ähnlich geht sie jetzt im Glücks-Unterricht vor: „Die Kinder bekommen eine Aufgabe, und wenn eines sagt: Da kann ich nicht“, versuche ich es in ein „Ich bemühe mich“ umzuwandeln.“

Katrin Strazzeri und Hanna Münch sind sich bewusst, dass sie mit ihren Bemühungen gegen einen starken Strom schwimmen, aber sie tun es mit großem Elan, „und die Früchte sind wunderschön“, sagt Katrin Strazzeri: „Die Kinder freuen sich auf unsere Stunde. Wenn wir kommen, fragen sie uns gleich ganz erwartungsvoll: Was machen wir heute?“
Almut Grote